„Psychische Erkrankungen sind ein wachsendes gesellschaftliches Problem“
Die häufigste Ursache für Krankschreibungen sind heute psychische Erkrankungen. Mit Dr. Jürgen Bierbaum, stellvertretender Vorsitzender der Vorstände der ALH Gruppe, sprachen wir für Biomex.TV über die aktuellen Herausforderungen für die BU-Versicherer und wie die Kunden bei psychischen Erkrankungen besser unterstützt werden können.
Biomex.TV: Die Bedingungswerke von Berufsunfähigkeitsversicherungen sind weitgehend ausgereizt. Wie können sich die BU-Versicherer in diesem Bereich noch von der Konkurrenz abheben?
Dr. Jürgen Bierbaum: Es stimmt, dass die Bedingungen oft ähnlich sind. Wir betrachten die Berufsunfähigkeitsversicherung als ein ganzheitliches Leistungspaket. Das beginnt mit einer individuellen Risikoprüfung und einer stabilen Beitragskalkulation. Ein typischer Vertrag bei uns läuft etwa 40 Jahre, und ich wünsche mir, dass die Beiträge für unsere Versicherten auch in dieser Zeit stabil bleiben. Wir sind einer der wenigen Anbieter, die offen über unsere Beitragsstabilität kommunizieren. Dazu kommt eine faire Leistungsprüfung.
>>> Das Interview können Sie hier auch als Video schauen
Was verstehen Sie unter einer fairen Leistungsprüfung?
Bierbaum: Wenn jemand tatsächlich berufsunfähig ist, möchte ich, dass er auch eine Leistung erhält. Das ist ein zentraler Bestandteil unseres Gesamtpakets. Zudem ist es wichtig, präventiv zu handeln. Wir haben erkannt, dass psychische Erkrankungen eine der häufigsten Ursachen für Berufsunfähigkeit sind, und haben unsere Gesundheitsservices entsprechend ausgerichtet.
Warum liegt der Fokus gerade auf psychischen Problemen?
Bierbaum: Psychische Erkrankungen sind ein wachsendes gesellschaftliches Problem, insbesondere bei jüngeren Menschen – was uns mit einer gewissen Sorge erfüllt. Statistiken zeigen, dass 25 bis 40 Prozent der Berufsunfähigkeitsfälle darauf zurückzuführen sind – je nach Versicherer und Klientel. Das ist ein ganz massives Problem in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Dabei ist teilweise aber noch unklar, ob es sich noch um einen Effekt aus der Corona-Zeit handelt oder ob noch andere Ursachen eine Rolle spielen. Wir sehen jedenfalls, dass psychische Ursachen bei den Krankschreibungen ganz weit vorne liegen.
Wie unterstützen Sie Kunden in diesem Bereich?
Bierbaum: Wir haben ein gestuftes Programm entwickelt. Es beginnt mit niedrigschwelligen Gesundheitsinformationen, die wir in Zusammenarbeit mit unserem Schwester-Unternehmen, der Halleschen, bereitstellen. Im nächsten Schritt bieten wir über unseren Vertragspartner Novego Selbstchecks an, um das Risiko für psychische Erkrankungen zu erkennen. Außerdem gibt es Online-Programme für Kunden, die bereits unter psychischen Belastungen leiden. Dabei unterstützen wir unsere Versicherten über unseren Partner MD Medicus bei der Suche nach einem Therapeuten und einem zeitnahen Termin.
Wie wird dieses Angebot von den Kunden angenommen?
Bierbaum: Das Feedback ist bisher sehr positiv. Wichtig ist, dass die Inanspruchnahme freiwillig ist und anonym bleibt. Die Kunden müssen uns nicht über ihren Gesundheitszustand informieren, was die Hemmschwelle senkt.
Als Lebensversicherer betreten Sie damit Neuland. Haben Sie sich dafür Unterstützung ins Boot geholt?
Bierbaum: Wir arbeiten sehr stark mit der Halleschen zusammen, die sich bereits vor Jahren als Gesundheitspartner positioniert hat – und weg vom reinen Kostenerstatter. Ein Unternehmensbereich beschäftigt sich dabei speziell mit dem Gesundheitsmanagement. Daneben waren auch der Ärztliche Dienst der Alten Leipziger sowie die Experten in Risiko- und Leistungsprüfung involviert.
Planen Sie, das Angebot an Gesundheitsservices weiter auszubauen?
Bierbaum: Der Fokus liegt derzeit darauf, spezifische Themen vertieft anzugehen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie die Versicherbarkeit von psychischen Erkrankungen oder die Leistungsprüfung besser an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann. Wir möchten sicherstellen, dass unsere Maßnahmen effektiv sind und echten Nutzen bringen. Zukünftig können wir uns vorstellen, ähnliche Ansätze für andere Krankheitsbilder zu entwickeln, aber wir gehen es Schritt für Schritt an. Ich bin kein Freund von „Viel hilft viel“.
Schreibe einen Kommentar