„Die Bayerische macht die Psychotherapie salonfähiger“

Eine Psychotherapie machen und dann noch eine BU-Versicherung abschließen? Das war bisher nur in wenigen Einzelfällen möglich. Die Bayerische will bei temporären psychischen Störungen nun anders vorgehen. Wie genau, erklären Martin Gräfer, Vorstand die Bayerische, und Dr. Anna Kuhns, psychologische Psychotherapeutin, im Interview.

BIOMEX.TV: Ich zitiere mal aus einem Social-Media-Post der Bayerischen: „Temporäre psychische Störungen sind kein pauschaler Ablehnungsgrund für die Berufsunfähigkeitsversicherung.“ Das sind starke Worte. Und Sie müssen uns das bitte erklären – schließlich haben sich bis jetzt psychotherapeutische Behandlungen und der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung praktisch ausgeschlossen.

Martin Gräfer: Ja, und da läuft einiges schief in unserer Branche. Bei vielen Menschen ist es so, dass sie ein Vorfall im Leben aus dem Gleichgewicht bringt und sie sich deswegen in eine psychotherapeutische Behandlung begeben. Das betrifft viele Familien – ich habe übrigens auch in meiner eigenen Familie solche Erfahrungen gesammelt. Und diese holzschnittartige Entscheidung der Versicherer, dass man dann keine Berufsunfähigkeitsversicherung mehr bekommt, ist falsch. Ich glaube sogar Folgendes: Wer sich psychotherapeutisch behandeln lässt, wird resilienter in seinem Leben und ist damit ein besseres Risiko. Für uns ist das daher kein Ausschlussgrund mehr. Dabei handelt es sich übrigens nicht um ein neues Produkt, sondern um unsere klassische Berufsunfähigkeitsversicherung, die die Bayerische bereits seit Jahrzehnten anbietet.

>>> Hier können Sie sich sich die Langfassung des Interviews anschauen.

BIOMEX.TV: Wie definieren Sie denn eine „temporäre“ psychische Störung?

Dr. Anna Kuhns: Temporär bedeutet, dass die Störung ausgeheilt werden kann. Nehmen Sie das Beispiel einer akuten Belastungsreaktion etwa nach dem Verlust eines Familienmitgliedes. Wer seine Mutter verloren hat, bleibt vielleicht ein, zwei Wochen zu Hause und könnte gut jemanden zum Reden gebrauchen. Aber wir haben nicht alle jemanden zum Reden, und da kommt ein Psychotherapeut wie gerufen.

Gräfer: Ganz viele von uns denken dann sofort – na ja, nach vier Wochen muss es dann doch mal gut sein. Es gibt aber durchaus Patientinnen und Patienten, die sich auch ein Jahr lang psychotherapeutisch unterstützen lassen –, die deswegen aber nicht gleich krank sind. Und vor allem damit nicht den Ausschlusstatbestand in der Berufsunfähigkeitsversicherung erfüllen. Schauen Sie sich doch mal viele Jungakademiker an. Viele setzen sich an der Uni unheimlich unter Leistungsdruck, schaffen vielleicht eine Prüfung nicht – und dann kommt noch Corona hinzu und verschlimmert das Ganze. Wenn diese jungen Menschen sich über längere Zeit unterstützen lassen, dann ist das gut!

BIOMEX.TV: Nun ist die Bayerische aber nicht die Heilsarmee. Wie sieht hier die Kalkulation aus?

Gräfer: Unser Aktuar Karol Musialik, der für das Produktkompetenzcenter zuständig ist, teilt unsere Überzeugung, dass die temporären Psychotherapien mittelfristig wahrscheinlich einen positiven Einfluss auf unser Gesamtkollektiv haben werden. Natürlich denkt jetzt erstmal jeder, dass alle Problemfälle zu uns strömen. Wir reden hier aber nicht von Problemfällen, wir reden von Menschen. Wir sind ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit – das kommt schon nahe an die Heilsarmee heran. Unser Unternehmenszweck, unser Sinn ist es, für die Menschen dazusein. Wir begleiten sie oft jahrzehntelange – unser ältester Versicherungsvertrag ist 1937 abgeschlossen worden.

Und wir haben noch mehr vor. Wir wollen im Underwriting unsere Denkprozesse erneuern. Das Produkt bleibt das Gleiche – aber wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen über die Jahrzehnte, die sie hoffentlich bei uns versichert bleiben, auf Hilfeleistungen zurückgreifen können. Wir wollen unterstützen, wenn die Krise da ist.

BIOMEX.TV: Was erhoffen Sie sich als die Bayerische von der Aktion?

Gräfer: Wir wollen Menschen die Berufsunfähigkeitsversicherung ermöglichen. Das ist eine der wichtigsten Vorsorgeformen nach der privaten Haftpflichtversicherung – von jedermann empfohlen, auch vom Verbraucherschutz. Im „Los Wochos“-Wettbewerb die Preise zu drücken oder auf die Gesundheitsprüfung zu verzichten, das ist für uns kein Weg. Wir wollen uns individuell mit den Menschen beschäftigen. Und wir wollen Maklerinnen und Makler davon überzeugen, dass ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit – wenn er aus München kommt und in Neuperlach zu Hause ist –, der wahrscheinlich beste Anbieter für Berufsunfähigkeitsversicherungen ist. Weil wir auch im Leistungsbereich so vorgehen – sehr nah an der Person. Das ist für uns ein Teil unserer Existenzberechtigung.

BIOMEX.TV: Was bedeutet Ihr Ansatz für den psychotherapeutischen Alltag?

Dr. Kuhns: Das ist eine ganz wichtige Frage. Die Bayerische macht die Psychotherapie salonfähiger. Ich kenne keinen Kollegen, der noch nicht den folgenden Satz von einem potenziellen Patienten gehört hat: „Wenn ich bei Ihnen jetzt die Therapie mache, kann ich dann noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen?“ Und bisher musste man diese Frage in vielen Fällen ja verneinen. Was zur Folge hatte, dass sich viele Patienten gegen die Psychotherapie entschieden haben. Oder sie traten als Selbstzahler auf.

BIOMEX.TV: Und das könnte man jetzt verhindern?

Dr. Kuhns: Ja. Und die Situation somit verbessern. Das ist für die Psychotherapie ein ganz großer und wichtiger Schritt.

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Karen Schmidt ist seit Gründung von Pfefferminzia im Jahr 2013 Chefredakteurin des Mediums.

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